dr. bees und dr. beeser

1
WAS MMW-LESER ERLEBEN Ärztliche Erfahrung beschränkt sich nicht auf medizinisches Fachwissen. Sie entsteht auch aus den mehr oder minder alltäglichen, heiter, ärgerlich oder nachdenklich stimmenden Erlebnissen mit Patienten, Kollegen und Mitarbeitern. Senden Sie uns Ihre Geschichte an: [email protected]. Für jeden veröffentlichten Text erhalten Sie bis zu 100 Euro. © A. Klementiev/Fotolia Folge 108 Ist’s ein Schwan oder ein Fahrrad? - Wenn ich im Sommer mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, wähle ich gern den Weg durch den Wald und an den Teichen vorbei. Begegne ich Spaziergängern, Hundebesit- zern oder Joggern, passiere ich diese im Schritttempo, denn die meist „zugestöpsel- ten“, in ihre Musik vertieften Jogger z.B. ten- dieren dazu, gerade zu der Seite auszuwei- chen, auf der man sie gerade überholen will. Ähnliches gilt für die alten Damen und Her- ren (am Waldrand liegt ein Altersheim), die, oft mit Rollator, aber anscheinend ohne (eingeschaltetes) Hörgerät, den Weg ent- lang schieben. Ein mehr oder weniger er- schrecktes „Huch“ ist häufig, ein ärgerliches „Ja könn‘se denn nich klingeln!“, kommt vor. Amüsant ist es, wenn dieses von der (hören- den) Begleitung mit einem „Hat se doch“ kommentiert wird, was aber wahrscheinlich ebenso ungehört verhallt wie zuvor meine Fahrradklingel. Bemerkenswert sind auch immer wieder die Hundebesitzer, die, nachdem ihr Hund mich (auch ohne Klingel) schon längst wahr- genommen hat und zur Seite ausgewichen ist, diesen dann schnell noch zu sich zerren und so die Leine und/oder den Hund quer über den Weg platzieren. Neulich habe ich aber etwas Nettes er- lebt: Ein altes Ehepaar schlenderte ganz ent- spannt am Teich entlang. Die Frau schob ih- ren Rollator und hatte ihr Gesicht dem Teich vor ihr zugewandt, auf dem sich diverse En- ten, Blässhühner und ein Schwanenpaar von der Morgensonne bescheinen ließen. Er hatte mich schon von weitem registriert und berührte seine Frau gemächlich an der Schulter: „Da ist ein Fahrrad.“ Im Vorbeifah- ren hörte ich ihre Erwiderung: „ Ich glaub‘ eher, das ist ein Schwan“, während ihr Blick immer noch gerade nach vorn gerichtet war. Vielleicht hat sie mich nicht einmal wahrgenommen. Ob und was er darauf gesagt hat, habe ich nicht mehr gehört. Ich meine aber, hin- ter mir ein leises zweistimmiges Lachen ver- nommen zu haben. Ich jedenfalls bin mit ei- nem Lächeln im Gesicht weiter zur Praxis geradelt. Dr. med. Andrea Linsel, Lüneburg Dr. Bees und Dr. Beeser - Wenn man als gepflegter, Hochdeutsch sprechender Nordhesse in Südhessen prak- tizieren möchte (insbesondere in der „Dat- terich-und Heinerstadt“ Darmstadt), dann muss man schon den regionalen Dialekt er- lernen. Habe ich! Zuweilen werde ich jedoch noch korrigiert. Sie, achtzig und immer noch blond, kam zum Check-up 35! Es ging ihr wirklich gut, und ich wollte ihr die „Wassertabletten“ ab- setzen, die ihr der Kardiologe vor Kurzem verordnet hatte, da ich keine Indikation für eine weitere Einnahme sah. Sie entgegnete mir jedoch: „Nee, Frau Doktor, das kann ich nicht machen. Der Doktor [es handelt sich hier um den Kardio- logen] war so bees (auf Hochdeutsch „böse“), das trau ich mich nicht.“ Da gab's nur eins, der Kardiologe musste getoppt werden. Ich schrie die Patientin an. Und die war daraufhin voll überzeugt. Die Wassertabletten wurden abgesetzt. Mein verdutztes Personal, das von mir keine lauten Töne gewöhnt ist, eilte mir zur Hilfe. „Psychologischer Kunstgriff“ murmel- te ich nur und gab Entwarnung. Die Patientin muss kurz vor Weihnachten zur Kontrolle beim Kardiologen. Na, der wird sich aufregen!! Dr. med. Luise Hess, Darmstadt 10 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (20) GESCHICHTEN AUS DER PRAXIS © fotodesign-jegg.de / fotolia.com

Upload: dr-med-luise-hess

Post on 19-Mar-2017

224 views

Category:

Documents


2 download

TRANSCRIPT

Page 1: Dr. Bees und Dr. Beeser

WAS MMW-LESER ERLEBEN

Ärztliche Erfahrung beschränkt sich nicht auf medizinisches Fachwissen. Sie entsteht auch aus den mehr oder minder alltäglichen, heiter, ärgerlich oder nachdenklich stimmenden Erlebnissen mit Patienten, Kollegen und Mitarbeitern. Senden Sie uns Ihre Geschichte an: [email protected]. Für jeden verö�entlichten Text erhalten Sie bis zu 100 Euro.

©

A. K

lem

entie

v/Fo

tolia

Folge 108

Ist’s ein Schwan oder ein Fahrrad? − Wenn ich im Sommer mit dem Fahrrad

zur Arbeit fahre, wähle ich gern den Weg durch den Wald und an den Teichen vorbei. Begegne ich Spaziergängern, Hundebesit-zern oder Joggern, passiere ich diese im Schritttempo, denn die meist „zugestöpsel-ten“, in ihre Musik vertieften Jogger z.B. ten-dieren dazu, gerade zu der Seite auszuwei-chen, auf der man sie gerade überholen will. Ähnliches gilt für die alten Damen und Her-ren (am Waldrand liegt ein Altersheim), die, oft mit Rollator, aber anscheinend ohne (eingeschaltetes) Hörgerät, den Weg ent-lang schieben. Ein mehr oder weniger er-schrecktes „Huch“ ist häu�g, ein ärgerliches „Ja könn‘se denn nich klingeln!“, kommt vor. Amüsant ist es, wenn dieses von der (hören-

den) Begleitung mit einem „Hat se doch“ kommentiert wird, was aber wahrscheinlich ebenso ungehört verhallt wie zuvor meine Fahrradklingel.

Bemerkenswert sind auch immer wieder die Hundebesitzer, die, nachdem ihr Hund mich (auch ohne Klingel) schon längst wahr-genommen hat und zur Seite ausgewichen ist, diesen dann schnell noch zu sich zerren und so die Leine und/oder den Hund quer über den Weg platzieren.

Neulich habe ich aber etwas Nettes er-lebt: Ein altes Ehepaar schlenderte ganz ent-spannt am Teich entlang. Die Frau schob ih-ren Rollator und hatte ihr Gesicht dem Teich vor ihr zugewandt, auf dem sich diverse En-ten, Blässhühner und ein Schwanenpaar

von der Morgensonne bescheinen ließen. Er hatte mich schon von weitem registriert und berührte seine Frau gemächlich an der Schulter: „Da ist ein Fahrrad.“ Im Vorbeifah-ren hörte ich ihre Erwiderung: „ Ich glaub‘ eher, das ist ein Schwan“, während ihr Blick immer noch gerade nach vorn gerichtet war. Vielleicht hat sie mich nicht einmal wahrgenommen.

Ob und was er darauf gesagt hat, habe ich nicht mehr gehört. Ich meine aber, hin-ter mir ein leises zweistimmiges Lachen ver-nommen zu haben. Ich jedenfalls bin mit ei-nem Lächeln im Gesicht weiter zur Praxis geradelt. Dr. med. Andrea Linsel, Lüneburg

Dr. Bees und Dr. Beeser − Wenn man als gep�egter, Hochdeutsch

sprechender Nordhesse in Südhessen prak-tizieren möchte (insbesondere in der „Dat-terich-und Heinerstadt“ Darmstadt), dann muss man schon den regionalen Dialekt er-lernen. Habe ich! Zuweilen werde ich jedoch noch korrigiert.

Sie, achtzig und immer noch blond, kam zum Check-up 35! Es ging ihr wirklich gut, und ich wollte ihr die „Wassertabletten“ ab-setzen, die ihr der Kardiologe vor Kurzem verordnet hatte, da ich keine Indikation für eine weitere Einnahme sah.

Sie entgegnete mir jedoch: „Nee, Frau Doktor, das kann ich nicht machen. Der Doktor [es handelt sich hier um den Kardio-

logen] war so bees (auf Hochdeutsch „böse“), das trau ich mich nicht.“

Da gab's nur eins, der Kardiologe musste getoppt werden. Ich schrie die Patientin an. Und die war daraufhin voll überzeugt. Die Wassertabletten wurden abgesetzt.

Mein verdutztes Personal, das von mir keine lauten Töne gewöhnt ist, eilte mir zur Hilfe. „Psychologischer Kunstgri�“ murmel-te ich nur und gab Entwarnung.

Die Patientin muss kurz vor Weihnachten zur Kontrolle beim Kardiologen. Na, der wird sich aufregen!! Dr. med. Luise Hess, Darmstadt

10 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (20)

GESCHICHTEN AUS DER PRAXIS

©

foto

desi

gn-je

gg.d

e / f

otol

ia.c

om