buddhismus

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Ein Fürstensohn schuf vor 2500 Jahren in Nordostindien die Glaubensschule des Buddhismus. Die Religion kennt keinen allmächtigen Schöpfer, keinen Anfang und kein Ende der Welt – lehrt aber höchsten Respekt vor jedem Lebewesen. Philosophische Kraft und Friedfertigkeit machen den Buddhismus auch für Menschen in westlichen Ländern zunehmend attraktiv BUDDHISMUS STERN-SERIE TEIL 1 Religion ohne Gott TEIL 1 Der Weg der Selbsterlösung BUDDHISMUS TEIL 2 Gottes auserwähltes Volk JUDENTUM TEIL 3 Himmel der 1000 Götter HINDUISMUS TEIL 4 Die Verheißungen des Propheten ISLAM TEIL 5 Balance im Kosmos TAOISMUS/KONFU- ZIANISMUS TEIL 6 Die Lehre der Liebe CHRISTENTUM DIE SECHS WELTRELIGIONEN ABENTEUER GLAUBEN Buddha am Tigerhöhlentempel Wat Tham Suea in Südthailand. Der Kreis aus Daumen und Zeigefinger symbolisiert das Rad der Lehre 2 titel STERN 47/2004 ❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❁❖✺❖✺ ABENTEUER GLAUBEN die serie bei stern.de www.stern.de/Weltreligionen Die Texte der Serie gegen Gebühr FOTO: MARTIN SASSE/LAIF

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Page 1: Buddhismus

Ein Fürstensohn schuf vor 2500 Jahren in Nordostindien die Glaubensschule des Buddhismus. Die Religion kennt keinen allmächtigen

Schöpfer, keinen Anfang und kein Ende der Welt – lehrt aber höchsten Respekt vor jedem Lebewesen. Philosophische Kraft und

Friedfertigkeit machen den Buddhismus auch für Menschen in westlichen Ländern zunehmend attraktiv

BUDDHISMUS

STERN-SERIE TEIL 1

Religion ohne Gott

TEIL 1 Der Weg der

SelbsterlösungBUDDHISMUS

TEIL 2 Gottes

auserwähltes VolkJUDENTUM

TEIL 3 Himmel der 1000 Götter

HINDUISMUS

TEIL 4 Die Verheißungen des Propheten

ISLAM

TEIL 5 Balance im Kosmos

TAOISMUS/KONFU-ZIANISMUS

TEIL 6 Die Lehre der

LiebeCHRISTENTUM

DIE SECHSWELTRELIGIONEN

ABENTEUER GLAUBEN

Buddha am Tigerhöhlentempel Wat Tham Suea in Südthailand. Der Kreis aus Daumen und Zeigefinger symbolisiert das Rad der Lehre

2 titel

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die serie bei stern.de www.stern.de/Weltreligionen Die Texte der Serie gegen Gebühr

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Page 2: Buddhismus

Auf einer Plattform aus weißem und schwarzemMarmor treffen sich allabendlich Gläubige aus Burmas

Hauptstadt, meditieren, beten und umrunden das Heiligtum. Darin werden acht Haare Buddhas verwahrt,

über denen sich der Stupa erhebt, ein spitz zu-laufender Turm, belegt mit 60 Tonnen Gold, gekrönt

von einem 76-karätigen Edelstein

SHWEDAGON PAGODE IN YANGON, BURMA

Ein goldener Schrein für acht Haare Buddhas

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Page 3: Buddhismus

AUS DEN LEHRREDEN DES BUDDHA

„Seid ohne Unterlass wachsam,geht in Tugend den rechten Pfad.

Wohlgesammelt, entschlusskräftig behütet, Jünger, euren Geist“

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Page 4: Buddhismus

AUS DEN LEHRREDEN DES BUDDHA

„Wer immer sein eigener Herr ist, hell, klar und wahrhaft,

er darf wirklich die Robe tragen“

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Page 5: Buddhismus

Mönche und Novizen schreiten durch den Garten eines alten Tempels in der laotischen Stadt Luang

Prabang. Sie tragen das traditionelle buddhistische Mönchsgewand aus einfachem Stoff, gefärbt mit

der billigsten Farbe, rot oder gelb. Sie dürfen kaumetwas besitzen, ernähren sich von Almosen

TEMPEL HO PHRA KEO, LAOS

Armut ist derReichtum der Mönche

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Page 6: Buddhismus

AUS DEN LEHRREDEN DES BUDDHA

„Der Wind kann keinen Berg umwerfen. Versuchung kann einen Mann nicht rühren,

der wach, stark und bescheiden ist“

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Page 7: Buddhismus

Sonnenstrahlen lassen den Gipfel des Mount Everesterglühen. Ein Wanderer hält an Leinen mit Gebetsfahnen

inne. Nach buddhistischem Glauben senden die bedruckten Stoffwimpel mit jedem Flattern im WindGebete aus; sie sollen den Wunsch nach Glück für

alle Lebewesen in alle Richtungen tragen

WANDERWEG IM HIMALAYA, NEPAL

Ewiges Gebetvor grandioser Kulisse

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Page 8: Buddhismus

Dächer und Türme in Thailands bedeutendster Tempelanlage glänzen im Scheinwerferlicht. Kraftzentrum

des Nationalheiligtums ist der „Smaragdbuddha“,eine nur 66 Zentimeter große Statuette aus grüner Jade.

Die Könige suchten die Nähe zu dem spirituellen Kleinod, neben dem Tempel ließen

sie den alten Palast errichten

WAT PHRA KEO, BANGKOK, THAILAND

Prachtvolle Gebäude hüten eine winzige Skulptur

AUS DEN LEHRREDEN DES BUDDHA

„Wer weise ist, der soll schrittweise, jeden Augenblick,

wie der Schmied das Silber läutert, sein Ich reinigen von jedem Fleck“

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Page 10: Buddhismus

AUS DEN LEHRREDEN DES BUDDHA

„Wir leben immerdar fröhlich, befreit von Habe und Besitz.

Gleich den Göttern der Licht-Reiche von Freudenspeise leben wir“

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Page 11: Buddhismus

Hingekauert auf ihre Schlafmatten, nehmen Mönche aus ihren Almosenschalen eine Mahlzeit ein.Nach 12 Uhr mittags dürfen sie nichts mehr essen.Sonnenstrahlen durchschneiden das Halbdunkel,

Kerzen spenden zusätzliches Licht. Viele Klöster stehenauch Laien offen, die hier oft für Wochen oder

Monate Einkehr suchen

DREPUNG-KLOSTER BEI LHASA, TIBET

Ein Ort der Stille und der Andacht

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2 titel

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Der kleine Mann aus Nordindien ist seit Jahrhun-derten ein Star. Gäbe es für ihn ein Urheber-recht, wären seine Erben Multimillionäre. Der Siegeszug führte ihn quer durch die Länder Ostasiens und in jüngster Zeit auch nach

Amerika und Europa. Längst ist sein Abbild allgegenwärtig. In tibetischen Klöstern, Pariser

Modegeschäften, römischen Wohnzimmern,Berliner Büros. Ein sitzender Mann in schlichtem Mönchsge-wand, mit untergeschlagenen Beinen, langen schlanken Fingernund einer Handhaltung, die Meditation ausdrückt. Oft ist auchnur sein Kopf zu sehen, mit knotenartigen Erhöhungen überdem Scheitel als Symbol der geistigen Potenz, lang gezogenenOhrläppchen als Zeichen der fürstlichen Herkunft, einer Lockezwischen den Augenbrauen als Andeutung des mystischen Weis-heitsauges und dieser unergründlichen Heiterkeit des Mundes –dem Lächeln Buddhas.

Wer war dieser Buddha? Ein Mensch? Ein Prophet? Ein Gott?U Tun Kyi hört die Frage und lächelt das Lächeln Buddhas. Wirsitzen in seinem Haus in Burmas Hauptstadt Yangon. Drei Räu-me hat es, 17 Menschen leben darin. U Tun Kyi ist 65, der Älteste.Der Raum, in dem er uns empfängt, ist sein Arbeitszimmer, aberauch das Esszimmer der Familie, Spielzimmer der Enkel, Gebets-raum. Gedämpft dringt das Licht durch die offene Tür und derLärm der Gasse. Rufe von Verkäu-fern, das Klingeln von Fahrrädern,das Rauschen von Wasser auf Blätterund Blechdächer. Es ist Regenzeit.Eine der Töchter arbeitet still amKleid für eine Marionette, ein Enkelhockt daneben und schaut ihr zu.Auf einem Bord an der Wand stehenneben Glücksbringern und Götter-statuen kleine Buddha-Figuren.

„BUDDHA WAR EIN LEHRER“, sagtU Tun Kyi. Er ist ein kleiner, knochi-ger Mann mit kurz geschorenemHaar. Stundenlang kann er auf ei-nem Hocker stehen, springen, tan-zen und dabei wirbelnde Bewegun-gen mit den Armen vollführen. UTun Kyi ist Marionettenspieler, einerder besten des Landes.

„Buddha lehrt, das richtige Lebenzu führen“, sagt U Tun Kyi. Sein Tagbeginnt um 5.30 Uhr. Er steht auf,wäscht sich das Gesicht und hält An-dacht. Anderthalb Stunden sitzt erim Schneidersitz vor den Buddha-Figuren, redet mit dem großen Leh-rer und meditiert. Er verspricht diefünf grundlegenden sittlichen Gebo-te des großen Lehrers einzuhalten:das Leben zu achten und nicht zu tö-ten; nicht zu stehlen; nicht zu lügen,

auch dann nicht, wenn es Vorteile bringt; seine Frau zu respektie-ren und keinen Ehebruch zu begehen; keine Drogen und keinenAlkohol zu sich zu nehmen. Dafür bittet er um Glück für seine Familie, sein Unternehmen und sich selbst. Dann verharrt er intiefer Versunkenheit und versucht Botschaften zu empfangen.Botschaften von Buddha. Einmal sah er ihn, abgemagert zum Ge-rippe, und verstand es als Aufforderung, ein asketisches Leben zuführen. Einmal sah er ihn durch die Luft fliegen und konnte sichkeinen Reim darauf machen – bis ein paar Tage später die Einla-dung zu einem Puppentheater-Festival kam, zu dem er mit einemFlugzeug reisen musste. Buddha ist für U Tun Kyi Lehrer und Lot-se. Er hilft, die Zeichen der Zeit und der Ewigkeit zu deuten, denrichtigen Kurs im Leben zu finden.

Was ist dieses Leben – Lust, Freude, Genuss? U Tun Kyi wieder-holt die Frage nachdenklich und scheint ihr nachzuschmecken.Dann schüttelt er den Kopf. „Eine Pflicht!“ Etwas, was man hinzu-nehmen hat und ertragen muss. Genießen könne man das Lebennicht, sagt er – und sagt es mit einer Miene heiterer Gelassenheit.

Der alte Puppenspieler ist Experte für das Leben und die buntenLegenden, die sich um Buddha ranken. Sie sind der Stoff seinesTheaters. Eines seiner Lieblingsstücke ist die Geschichte von Emp-fängnis und Geburt des Erleuchteten – wie bei Jesus eine Legendeunbefleckter Empfängnis. Der „Meister der Götter und Menschen“,so heißt es, ließ sich vom Himmel herab und ging als junger, wei-

ßer Elefant mit sechs Stoßzähnen zurrechten Seite in den Leib seiner Mut-ter ein. „Nie vorher hatte die etwas soSchönes gesehen und gehört, nie ähn-liche Wonne empfunden.“

Eine andere Aufführung des Pup-penspielers schildert Buddhas ver-wöhnte Jugend in den Palästen seinesVaters – „einem für den Winter, ei-nem für den Sommer und einem fürdie Regenzeit“ – , bis es schließlich zuden berühmten „vier Ausfahrten“kommt, auf denen der Fürstensohneinem Kranken, einem Greis, einemToten und einem Asketen begegnet.Dabei erkennt der junge Mann dieVergänglichkeit und das Leid allen Le-bens. Diese Erfahrung war ihm An-stoß zu Verzicht und Überwindung,zu radikaler Veränderung: das langeHaar abzuschneiden, die schwerengoldenen Ohrringe und prächtigenKleider abzulegen, „aus dem Haus indie Hauslosigkeit“ zu gehen und wieein einfacher Mönch zu leben.

Historiker erzählen diese Ge-schichte nüchterner. Der spätereBuddha wurde im Grenzgebiet zwi-schen dem heutigen Indien und Nepalgeboren und von seinen fürstlichenEltern Siddhartha genannt – „der-jenige, der sein Ziel erreicht hat“.

Von PETER SANDMEYER und HARALD SCHMITT (Fotos)

Der japanische Meister Kano Masanobu versammelt auf seiner Zeichnung aus dem 15. Jahr-

hundert „Die drei großen Weisen“: die ReligionsstifterBuddha, Konfuzius und Laotse, den Vater des

Taoismus. Ihre Lehren prägen Ostasien

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DIE SECHS WELTRELIGIONEN

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„Buddhistisches Paradies“ ist das gestickte Gemälde aus dem 18. Jahrhundert betitelt. Doch der

buddhistischen Lehre zufolge entzieht sich das Nirvanajeder bildhaften Darstellung. Auch in Worten ist

das „endgültige Verlöschen“, der Stillstand des Radsder Wiedergeburt, nicht zu beschreiben

INDISCHER WANDTEPPICH

Ein Himmel voller Buddhas

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Gleichmütig lächelnd, reihen sich in der Pagode 45 Buddha-Figuren im Halbkreis. Solche Statuen aufzustellen verbessert das Karma des Stifters –

je mehr, desto besser. 30-Höhlen-Pagode wird das Bauwerk vor den Toren Mandalays genannt, führen

doch 30 Torbögen ins Dunkel des Andachtsraumes

PAGODE UMIN THONZE, MANDALAY, BURMA

Wiederholung als rituelles Prinzip

AUS DEN LEHRREDEN DES BUDDHA

„Lies nur ein paar Worte, wenn du willst, und sprich noch weniger,

aber handle nach den Gesetzen der Lehre“

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Man streitet über den Zeitpunkt, dieneuere Forschung neigt zu einem Ge-burtsdatum im 5. Jahrhundert vor un-serer Zeitrechnung. Diese Epoche wareine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche.Austausch und Handel entwickeltensich, Städte wuchsen, neue Königtü-mer verdrängten die alte Fürstenherr-schaft. Menschen suchten neue Orien-tierung. Das religiöse Leben in Indienaber, geprägt vom Hindu-Glauben,war verkrustet und erstarrt. Eifersüch-tig wachte die Priesterkaste der Brah-manen über jede Auslegung der heili-gen Schriften und das Privileg der im-mer komplizierteren Opferrituale fürdie zahllosen Götter des Hindu-Him-mels. Besonders in der Kriegerkaste,zu der die Familie Siddharthas gehör-te, regte sich Opposition gegen diedogmatische Macht der Brahmanen.Die Zeit schrie nach Reformen.

Als der Fürstensohn mit 29 den elterlichen Palast verließ, schloss ersich einer Gruppe von Bettelasketenan, die ihren Weg zum Seelenheil mitHilfe von Kasteiung suchten. Aberwie 2000 Jahre später Martin Luthermachte Siddhartha die Erfahrung,dass „selbsteigene Pein“ nicht zur Seligkeit, sondern in die Sackgasseführt. Nur ein geistiger Weg konntein die richtige Richtung leiten.Siddhartha ging den der Meditation,die in der indischen Spiritualität eineuralte Tradition hat. Sechs Jahre dau-erte es, dann erlangte er unter einemPappelfeigenbaum in tiefer Versen-kung die Erkenntnis über das Wesender Welt. 49 Tage verbrachte er unterdem Baum, und wie Jesus in derWüste vom Teufel wurde er unter diesem „Bodhi“-Baum vonMara, einem Dämon, versucht, der ihm Erlösung von allen Leidendurch den Tod anbot. Doch er widerstand und wurde Buddha, der„Erleuchtete“. In seiner ersten Predigt verkündete er dann die „VierEdlen Wahrheiten“ und setzte das „Rad der Lehre“ in Gang.

DIE ERSTE WAHRHEIT: Alles Leben ist Leid. „Geburt ist Leiden,Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unlie-bem vereint sein ist Leiden, von Lieben getrennt sein ist Leiden,nicht erlangen, was man begehrt, ist Leiden.“

Zweite Wahrheit: Ursache des Leidens ist die Gier oder der Lebensdurst nach Lust, nach Macht, nach Reichtum, nach Erfolg.Dieser Durst wird nie gestillt, die Enttäuschung ist stets größer als die Befriedigung, das Glück vergänglich, das Leid anhaltend.

Dritte Wahrheit: Die Aufhebung des Durstes bewirkt die Auf-hebung des Leids – „durch restlose Vernichtung des Begehrens“.

Vierte Wahrheit: Der Weg zur Aufhebung des Leids ist der edle Pfad der Selbstzucht, der aus acht Verhaltensweisen besteht –

ie Religion der Tibeter verbindet Elemente der vorbuddhis-tischen Bon-Religion, einer Natur-religion, die im Himalaya zu Hausewar, mit einer Glaubensrichtung desBuddhismus. Rituale und Symbolespielen eine große Rolle: Mudras(heilige Gesten), Mantras (heiligeVerse) und Mandalas (heilige Schau-bilder) sind wichtige spirituelle Hilfsmittel. Die Wiederholung derheiligen Verse („Om Mani PadmeHum“) soll dem Meditierenden helfen, seine irdischen Sorgen und Gedanken hinter sich zu lassen. Auch wenn sie Mandalas legen oderbetrachten, soll das den Gläubigenbeim Meditieren helfen. Ziel ist,einen einheitlichen Seinszustand hin-ter allen Lebensmustern zu erfahren. Nach Tibet ist der Buddhismus in zwei Wellen gelangt, die erste begann im 7. Jahrhundert nachChristus und endete in einer Zeit der Verfolgung Mitte des 9. Jahrhun-derts. Ende des 10. Jahrhundertsbreitete sich der Buddhismus er-neut aus. Dabei entwickelte sichder Lamaismus, die Führung desLandes durch eine Priesterhierar-chie, an deren Spitze als unum-schränkter weltlicher und religiöser

Herrscher der Dalai Lama steht. Jeder Dalai Lama gilt als Wiederge-burt von Chenresi, dem „Buddha derBarmherzigkeit“, der zu den „Bodhi-sattvas“ gehört: Wesen, die den Zu-stand der vollkommenen Erleuchtungerreicht haben, aber auf die eigeneErlösung aus Mitleid mit der Weltverzichten, um für deren Erlösung tätig sein zu können. Als der 13. Dalai Lama 1933 starb,begannen hohe Würdenträger in ganzTibet nach der Wiedergeburt vonChenresi zu suchen. In einem Dorffanden sie 1936 den dreijährigenSohn einer Bauernfamilie, der nacheiner Reihe von Prüfungen als die gesuchte Reinkarnation erkannt undfür die Nachfolge auf dem Löwen-thron in Lhasa erzogen wurde. Nachder Besetzung Tibets durch Chinawurde dieser 14. Dalai Lama 1959vertrieben, der damals 23-Jährigefloh ins Exil nach Indien.

DER TIBETISCHESONDERWEG

GLAUBEN IM HIMALAYAIn Tibet, dem Dach der Welt, verschmolz der Buddhismus miteiner Naturreligion und schuf einen isolierten Klosterstaat

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Der Potala inLhasa: mehr

als 300 Jahrelang Sitz des

Dalai Lama

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Herrscherohne ReichDer DalaiLama, religiö-ses und welt-liches Ober-haupt der Tibeter, musste1959 nach Indien fliehen

HEIMAT DES DALAI LAMA

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Page 17: Buddhismus

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Und deswegen ein revolutionäres Rezept: Kasten haben in ihmkeine Bedeutung mehr, der Vorherrschaft der Brahmanen fehlt dieBerechtigung – jeder Mensch geht seinen eigenen Weg, ohnePriester, ohne Opfer, ohne Ritus, ohne Gott. Buddha wendet sichausschließlich an den einzelnen Menschen und lenkt dessen Blicknach innen, auf sich selbst. Dort soll er das richtige Verhältnis zusich finden, zu seinen Mitmenschen, zur Welt; dort und nicht imAngesicht irgendeines Gottes.

BUDDHA WAR KEIN EIFERER. Dogmatismus und Bekehrungsfa-natismus waren ihm fremd. „Jeden auf seiner Stufe gelten lassen“,lautet eine buddhistische Devise. Deswegen hat der Buddhismusdie hinduistischen Götter nie zum Tempel hinausgejagt, sondernihnen den vertrauten Platz im Leben der Gläubigen gelassen, ihnen aber eine völlig neue Bedeutung zugemessen. Die Götter sindnicht mehr allmächtig oder ewig, auch sie sind Untertanen desgroßen Gesetzes vom Werden und Vergehen. Die ursprüngliche,reine Lehre Buddhas ist eigentlich ein Paradox: eine gottlose

vollkommene Erkenntnis, vollkommener Entschluss, vollkom-mene Rede, vollkommenes Handeln, vollkommener Lebens-erwerb, vollkommene Anstrengung, vollkommene Achtsamkeit,vollkommene Sammlung. „Wie der große Ozean nur einen ein-zigen Geschmack hat, den des Salzes, so ist meine Lehre nur voneinem Geschmack durchdrungen, dem der Erlösung.“ Erlösungvom Leid der Welt.

Das war die Lehre eines Fürstensohnes und geistigen Aristokra-ten für eine Elite. Und es waren junge Adlige, hauptsächlich An-gehörige der Kriegerkaste, die ihr als Erste anhingen. Einer Lehre,die keine Götter kennt, keinen Weltenlenker, keine ewige Ur-substanz, keine unsterbliche Seele. Die Welt hat keinen Anfangund kein Ende, es gibt keinen Schöpfer und keine Schöpfung.Alles ist vergänglich, alles in ständigem Wandel begriffen. Nur werdas durchschaut und nichts festhalten will, geht den Weg zur Erlösung im „Nirvana“, der seligen „Leere“, die jenseits alles Vor-stellbaren und Benennbaren liegt. Buddhas Lehre ist ein Konzeptder Selbsterlösung.

Das Tor in der Klostermauer links oben steht offen,transparente Architektur gestattet den Einblick in die

Gebäude. Das Kloster ist ein Ort des geistigen Austauschs. Mönche in gelben Gewändern meditieren.

Einer begießt einen Mann im Lotussitz mit Wasser

MINIATUR AUS BURMA, 19. JAHRHUNDERT

Klöster sind die spirituellenZentren des Buddhismus

Page 18: Buddhismus

Um 5.30 Uhr früh kniet Marionetten-Meister U Tun Kyi im Hauptraum seines Hauses. Im Angesicht einer Buddha-

Statue meditiert der 65-Jährige und hält Zwiesprache mit dem Erleuchteten. Für dieses Ritual nimmt er sich

jeden Morgen anderthalb Stunden Zeit. Dann erst widmet er sich seinen kostbar gewandeten Puppen

PUPPENSPIELER U TUN KYI, YANGON, BURMA

Kniefall vor dem großen Lehrer

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AUS DEN LEHRREDEN DES BUDDHA

„Es gibt keine Meditation ohne Weisheit,es gibt keine Weisheit ohne Meditation“

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zicht auf Eigentum, die Ver-pflichtung, keinem LebewesenLeid zuzufügen, Keuschheit.Sie haben keine Glaubensdog-men zu befolgen und könnendas Kloster jederzeit wiederverlassen. Viele Burmesen ver-bringen regelmäßig Tage, Wo-chen oder Monate in klöster-licher Zurückgezogenheit, umzu beten, zu singen, zu medi-tieren, die Balance zwischender profanen und der spirituel-len Seite ihres Lebens wieder-zufinden. Buddhismus ist tiefeFrömmigkeit auf der Basis ho-her Philosophie – und für diemeisten Frommen viel zu an-spruchsvoll.

DAS GILT BESONDERS für einDetail der Lehre, das nur weni-ge begreifen. Wie im Hinduis-mus, der alten Religion In-diens, gibt es in der Glaubens-welt Buddhas den Kreislauf derWiedergeburt, die vom Karmaabhängt. Als was jemand wie-dergeboren wird, hängt davonab, wie er sein letztes Leben geführt hat. Hinduisten sinddavon überzeugt, dass die See-le unsterblich ist, im Gegensatzzum sterblichen Körper, unddass sie durch schlechte Tatendazu verurteilt wird, in einerschlechteren Existenz wieder-geboren zu werden – in einer

niedrigeren Kaste, in Armut, Krankheit oder sogar als Tier. Diekörperlichen Hüllen wechseln, die Seele bleibt dieselbe.

Da für Buddha hingegen alles vergänglich ist, kann es auch keine unsterbliche Seele geben. Immer wieder sind Buddhisten inIndien „Nihilisten“ genannt worden, weil ihr Erleuchteter die Exis-tenz einer Seele nicht anerkennen wollte. Und auch viele Buddhis-ten haben mit diesem Gedanken Schwierigkeiten. Denn was wirdwiedergeboren, wenn nicht die Seele?

Ashin Kelasa kennt die Frage. Auch er lächelt, als er sie hört, dasunergründliche Lächeln Buddhas. Er ist 38, trägt eine große Bril-le und das rostrote Gewand der buddhistischen Mönche – der ein-fachste Stoff, die billigste Farbe, so wollte es der große Lehrer. DerMönch wohnt in einer kleinen, grün gestrichenen Zelle des gro-ßen Mahagandayon-Klosters von Mandalay. Hier leben bis zu tau-send Mönche ohne Besitz und Geld, die meditieren, studieren undmittags um zwölf die letzte Mahlzeit des Tages einnehmen. ImKloster, einem der großen geistigen Zentren Burmas, werden Le-ben und Lehre Buddhas erforscht und Antworten auf die Fragenvon Gläubigen in aller Welt gesucht.

Ashin Kelasa hat einmal Mathematik studiert, spricht brillantesEnglisch und könnte auch in Harvard als Dozent arbeiten. Statt-

Religion, eine Anweisung zurLebensführung ohne denGlauben an einen höherenGeist oder ein göttliches Ge-bot. Mehr Philosophie als Reli-gion. Und das Letzte, worander Begründer dieser Weltsichtgedacht haben dürfte, ist dieVorstellung, selbst auf dem Al-tar zu landen. Aber so kam es.

Siddhartha, der historischeBuddha, hat keine einzigeZeile hinterlassen. Wie dasEvangelium des Jesus von Na-zareth wurde seine Lehre vonJüngern weitergetragen undverbreitet. Aufgeschriebenwurde sie erst Jahrhundertenach seinem Tod. Da hattelängst die Legendenbildungeingesetzt, die ihn verklärteund letztlich zu einer Gottheitmachte. Die Buddha-Legen-den, die U Tun Kyi mit seinenMarionetten erzählt, sind wiedie Geschichten von den ka-tholischen Heiligen religiöseFabeln mit sittlicher Nutzan-wendung. Über Jahrhundertehaben sie geholfen, die fünfgrundlegenden Gebote desErleuchteten in der Bevölke-rung zu verankern – und zu-gleich den Gegenstand dieserLegenden aus der Vergangen-heit in die Gegenwart zu befördern. Für U Tun Kyi wie für die meisten Burmesenist Buddha nicht erloschene Geschichte, sondern unsichtbare Gegenwart. Anders gesagt: eine Gottheit.

Diese Gottheit hat aber nie Glaubensregeln aufgestellt oder eineOrganisation geschaffen, die ihre Lehre verwaltet. Letztlich ist jedem Buddhisten selbst überlassen, was er glaubt und was nicht.Kein Priester, kein Bischof, kein Papst wacht darüber. Auch dieMönche – die keine priesterlichen Aufgaben haben – müssen nur

wenige Regeln für das mönchische Le-ben befolgen: unter anderem Ver-

Morgentoilette für einen goldenen Dickkopf In der Mahamuni-Pagode von Mandalay wäscht ein Mönch

täglich das Gesicht Buddhas und putzt ihm die Zähne

Konfirmation nach buddhistischen RegelnIm Alter zwischen zehn und 14 Jahren lassen sich viele Jungen

den Kopf scheren und gehen für einige Zeit ins Kloster

Das achtspeichigeRad der Lehre Der buddhistische Weg zur Erlösung erfordert Vervollkommnung in achtDisziplinen: Erkenntnis,

Entschluss, Rede, Handeln,Lebenserwerb, Anstrengung,

Achtsamkeit, Sammlung

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DIE SECHS WELTRELIGIONEN

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Veränderung von einer Existenzauf die andere übergeht.

Der alte Hindu-Glaube istauf geradezu mechanische Wei-se simpel: Jede Existenz seinichts anderes als die Quittungfür die vorausgegangene. Wennder Mensch gutherzig undselbstlos lebt, schraubt er sichvon Wiedergeburt zu Wieder-geburt langsam nach oben, bisihm als Brahmane schließlichder Ausstieg aus dem Kreislaufder Reinkarnationen möglichwird. Bei Buddha wird diesesDenken von einer Vorstellungersetzt, in der nicht nur Taten,sondern auch Denken und Absicht zum Karma beitragenund es keine vorgeschriebenenEtappen zum Nirvana gibt.Jeder Mensch kann auf jederExistenzstufe die Welt des Leidsverlassen, wenn er das Verlan-gen ausreichend überwundenhat und zur Weisheit genügendweit vorgedrungen ist.

AUF VERBLÜFFENDE WEISEähneln solche Gedanken demDenken moderner Naturwis-senschaft. Auch sie betrachtetdie Welt als ein Gewebe vonZusammenhängen: Mensch,Erde und Kosmos sind prozess-hafte Phänomene, die ein viel-fältig verbundenes Ganzes bil-den, in dem sich die Teile

wechselseitig beeinflussen und verändern. Wer sich darin nachchristlicher Tradition als Zentrum („Krone der Schöpfung“) oder„Fels in der Brandung“ empfinden will, wird unweigerlich schei-tern. Sinn und Frieden des Daseins erfährt nur der, dem es gelingt,sich als Einzelner in das Ganze einzufügen. Mit den Worten CarlFriedrich von Weizsäckers: „Wenn das Ich sich erfährt als nicht dieletzte und unbedingt zu behütende Wirklichkeit, sondern als einOrgan im umfassenden großen Organismus.“ Moderne naturwis-senschaftliche Philosophie des Westens und buddhistisches Denken des Ostens kommen sich sehr nahe. Einer der Gründe, weshalb die Lehre des kleinen Mannes mit dem unergründlichenLächeln gerade in Europa und Amerika so viel Resonanz findet.

Einfachen Gläubigen aber sind solche Vorstellungen zu abstrakt.Sie wollen Götter zum Anfassen, zum Anbeten; Götter, von denender Mönch Ashin Kelasa sagt, der Anlass, an sie zu glauben, seiAngst. Sei man frei von Angst, brauche man keinen Gott. Aber diemeisten Menschen in den buddhistischen Ländern Asiens brauchendiesen Gott. Und der, den sie anbeten, heißt Buddha.

Einfache Gläubige verstehen auch die Seele anders als ihr großerLehrmeister. Für sie ist sie eine Art spirituell verdichtetes Ich, das sei-ne Unverwechselbarkeit über den Tod hinaus bewahrt. Deswegen

dessen meditiert er. Das tut er,seit er auf schmerzliche Weiseerfuhr, dass das Schöne ver-gänglich ist. Keinen Menschenhat er so geliebt wie seine Mut-ter, mit kindlicher Inbrunsthat er an ihr gehangen, aber siestarb, als er neun war, und hin-terließ ein furchtbares Loch inseinem Leben. „Ich wurde denVerlust nicht mehr los. Er warimmer in meinem Kopf.“ BisAshin Kelasa zu meditierenbegann.

Meditation wirke ähnlichwie ein Mikroskop, sagt er.Betrachtet man etwas Ekligeswie eine Kakerlake durch einMikroskop, verändere sie sichvollständig und löse sich aufin lauter Details, die man fas-zinierend finden und in voll-kommener Ruhe betrachtenkönne. Der Ekel verschwinde.So verschwand sein Schmerzüber den Tod der Mutter, alser das Leben und den Tod inder Meditation betrachtete.Aus einem verzweifelten Sohnwurde ein versöhnter.

„So verstehe ich auch Rein-karnation“, sagt er. „Wieder-geburt findet jeden Augen-blick statt. Wenn jemand wü-tend wird, stirbt der Mensch,der er vorher war. Wenn erwieder friedlich wird, stirbtder wütende Mensch. Wirwerden ständig neu geboren, weil es uns als feste Wesen gar nichtgibt, sondern nur als fließende, veränderliche Zusammenballungvon Geist und Materie.“ Was nach dem Tod geschehe? Keiner wis-se es. Was vom Menschen über-lebe und wiedergeboren werde?Keiner wisse es. Wenn das Feu-er erlischt, wohin geht es? Kei-ner wisse es.

Und die Seele? Das Ich? DasKarma?

Wieder das Lächeln Buddhas.Dann benutzt der Mönch dasBild der Billardkugeln: Wenn dieeine die andere anstößt, in Bewe-gung versetzt und selbst liegenbleibt, wird die Energie von dereinen auf die andere Kugel über-tragen. So habe man sich auchdie Seele als ein komplexes Bün-del geistiger Energie vorzustel-len, die in einem Prozess stetiger

Klosterschule mit Internat für die DorfjugendIn der Schule Naga Hlaing Gu in Yangon, Burma, werden schon

die Kleinsten zur Selbstzucht durch Meditation angeleitet

Bis zur Unkenntlichkeit vergoldetVerehrung hat die vier Buddha-Statuen zu Klumpen gemacht.

Jahrzehntelang haben Gläubige sie mit Blattgold beklebt

Mönch Ashin Kelasa in Burma ➔

DIE SECHS WELTRELIGIONEN

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Aus dieser Vorstellung entstandein ganzer Buddha-Himmel undeine ausgeklügelte Theologie, dievor allem im nordöstlichen TeilAsiens (Bhutan, China, Korea) ver-breitet ist. Der Süden (Sri Lanka,Burma, Thailand, Kambodscha,Laos) blieb der ursprünglichen Leh-re treu. Beide Hauptrichtungenkennen noch diverse Unterschulenund Spielarten. Sie reichen vom Ex-trem des Kirchenfürstentums in Ti-bet – mit strengen Priesterhierar-chien und ausgetüftelten religiösenRiten – bis zum Zen-Buddhismusin Japan, der hohen Kunst der tiefengeistigen Versenkung, welche dieSeele von der Verhaftung im Dies-seitigen völlig befreien soll.

IN JEDER SEINER FORMEN verlangtder Buddhismus Selbst-Zucht – Zu-rückhaltung des Einzelnen, Respektvor dem Anderen, Harmonie mitdem Ganzen. Das hat auch Schatten-seiten. Konflikte werden nicht ausge-tragen, sondern vermieden und um-gangen. Kritik und offene Auseinan-dersetzung sind unerwünscht, oftunmöglich. Paradoxerweise schlägtdie harmoniebedachte Haltung des-halb manchmal in jähe Gewalt um.Wettstreit, gesellschaftlicher Fort-schritt, Dynamik werden von dieserHaltung behindert – ein Grund, wes-wegen buddhistische Gesellschaftenzu Traditionalismus neigen.

Von Kind auf wird diese Haltung trainiert. In der Klosterschu-le Naga Hlaing Gu in Mandalay sitzen 1000 Jungen mit geschore-nen Köpfen in rostroten Roben und sprechen das Mittagsgebet.„Alle Menschen des Ostens mögen friedvoll sein, frei von Gefah-ren, Sorgen, Ängsten und Gebrechen. Alle Menschen des Westensmögen friedvoll sein, frei von Gefahren, Sorgen, Ängsten und Gebrechen …“ Gebete, Meditation bestimmen neben dem Lernenden Tag der Internatsschüler. Wer sich prügelt, fliegt raus. Schondem 13-jährigen Panida gelingt das Lächeln Buddhas, als er ge-fragt wird, was er tue, wenn er irgendein Problem habe – Streit miteinem Mitschüler, Heimweh, Ärger mit einem Lehrer. „Meditie-ren“, antwortet er. Einatmen, ausatmen, bewusst atmen, so hatman es ihm beigebracht. Dann sieht er irgendwann eine Pagoden-Landschaft vor seinem inneren Auge, die äußere Welt verschwin-det und mit ihr die Last aus Trauer, Ärger, Sorgen und Schmerzen.Panida meditiert viel und betet oft. Er bittet den großen Buddha,ihn und seine Familie zu beschützen und von allen Sorgen zu be-freien. Manchmal bittet er den Erleuchteten auch, ihm seinengrößten Wunsch zu erfüllen: Er will Armeegeneral werden.

Wie sagte der kleine Mann aus Nordindien vor 2500 Jahren?„Für alle gibt es einen Weg, doch du bist dein eigener Meister– alles hängt von dir ab.“ Und lächelte.

träumt der alte Marionettenspieler UTun Kyi am Ende seines Leben davon,dass seine Seele nach dem Tod einmalwenigstens im Götterhimmel wieder-geboren wird, den einfache Leute wieer immer noch über sich sehen. Das istzwar für die Seele nicht mehr als eineParkposition, denn bei den Götterngibt es keine Möglichkeit, Verdienstezu erwerben und dem Nirvana nahe zukommen, dem Ende des ewigen Kreis-laufes von Wiedergeburten. Zwar weißer, dass nur gutes Karma im Diesseitsihn ins erlösende Nirvana bringenkann, aber vorher würde er gern nocheinmal die Fun-Gesellschaft Götter-himmel erleben. Nach dem Volksglau-ben erhofft er dort köstliche Früchteund Jungfrauen, deren Jungfräulich-keit sich jede Nacht erneuert. Wenigs-tens einmal in seinen vielen Existenzenmöchte der magere Marionettenspielereinen fetten Happen Leben genießen.

ASHIN KELASA, DER KLUGE MÖNCH,kann über solche Vorstellungen nurden Kopf schütteln. Aber er tut es mitlächelnder Nachsicht. Er weiß, dasssich in allen Nischen des buddhistischgeprägten Volksglaubens der Aber-glaube eingenistet hat. Es wimmeltdarin von Himmeln und Höllen, Ti-tanen und Hungergeistern, Glücks-bringern, Unglücksboten, Talisma-nen und Dämonen aller Art. Kaumzehn Prozent der Buddhisten in Bur-ma, Mönche eingeschlossen, hättenbegriffen, was ihr großer Lehrer wirklich sagen wollte, glaubt Kelasa. Doch das regt den Mönch nicht auf. Klügere Menschenlernten mit dem Kopf und aus Büchern, sagt er, einfache mit demHerzen und aus Legenden. Das Ergebnis sei trotzdem gleich: einLeben, das in Toleranz und tiefem Respekt gegenüber jedem anderen und dem gesamten Kosmos geführt werde.

Diese praktischen Auswirkungen buddhistischer Ethik sindstark und überall gleich, obwohl das Fehlen eines einheitlichen re-ligiösen Regelwerks zur Entstehung unterschiedlichster buddhisti-scher Glaubensformen geführt hat. Die Aufsplitterung begannrund 400 Jahre nach Buddhas Tod mit der Entstehung der „Ma-hayana“-Lehre. Im Gegensatz zur ursprünglichen „Hinayana“-Lehre, die nur einen Buddha und nur dessen Weg zur Erlösungkennt, entwickelte die neue Schule die Vorstellung, dass es mehre-re Wege und viele Erlösungshelfer („Bodhisattvas“) gibt, teils le-bende, irdische, teils himmlische, transzendente. Buddha kanntenur einen Weg, den der Selbsterlösung. Im Mahayana-Buddhis-mus können karmische Verdienste übertragen werden. Aus gren-zenlosem Mitleid mit der Welt verzichten die Bodhisattvas darauf,ins glückselige Nirvana einzugehen, und sind stattdessen so langefür die Erlösung der Welt tätig, bis alle Lebewesen aus dem Kreis-lauf des Leidens befreit sind. S

Buddha hat viele GestaltenIn der Soon U Ponnyashin Pagode bei Mandalay nagt

ein Hase an einer Möhre. Der Legende nach wurde derErleuchtete einst auch als Langohr wiedergeboren

DIE SECHS WELTRELIGIONEN

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Unter den buddhistischen Schulen Japans ist derZen-Buddhismus die bekannteste. Als Begründer der wichtigsten Zen-Lehren gelten die Mönche Eisai und Dogen,die an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert lebten. Zenbedeutet Meditation und meint eine Religionspraxis, in derintellektuelles Lernen keine Bedeutung hat und das Gehirndurch besondere Meditationserfahrungen aus eingefah-renen Denkbahnen gerissen wird. Diese Erlebnisse sollenEinsicht in das Wesen der Welt vermitteln. Neben der klas-sischen Meditation im Lotussitz gehören zu den Meditati-onstechniken auch bestimmte kontemplative Kunstformenwie Malen und Kalligrafie, Bogenschießen und Fechten so-wie mit größter Sorgfalt ausgeführte Alltagsrituale, zumBeispiel die Teezeremonie, das Blumenstecken (Ikebana)oder die Pflege der Zen-Gärten, die oft nur aus Felsen undpenibel geharktem Sand bestehen. Konventionelles Denken sollen die Schüler auch dadurchüberwinden, dass sie sich Fragen stellen, auf die es keineAntwort gibt: „Welche Hand verursacht beim Klatschen das Geräusch?“ oder „Welchen Gesichtsausdruck hattestdu vor deiner Geburt?“ Solche Fragen gelten als guter Einstieg in die Selbstversenkung. Der Weg ist das Ziel – der Weg einer Reifung, die zur Erleuchtung werden soll. Viele Kampfsportarten und die New-Age-Bewegung sindvom Zen-Buddhismus inspiriert worden.

ZEN-BUDDHISMUSIN JAPAN

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5. Jahrhundert vor Christus Lebenszeit von Siddhartha Gauta-ma, dem historischen Buddha

1. Jahrhundert vor ChristusDie Mahayana-Schule entwickelt

sich, der Buddhismus spaltet sich in zwei große Glaubens-richtungen

1. JahrhundertDer Buddhismus breitet sich vonNordostindien aus und erreichtChina

4. JahrhundertDer Buddhismus erreicht Korea

6. JahrhundertDer Buddhismus gelangt bis Japan

7. bis 8. JahrhundertErste Ausbreitung des Buddhismusin Tibet

1100 bis 1200Zerstörung der Klöster und Nieder-gang des Buddhismus in Indien

1617 bis 1682Regierungszeit des „großen“ 5. Dalai Lama in Tibet, Errichtungdes Potala-Palastes in Lhasa

ZEITLEISTE BUDDHISMUS

Sich versenkenMeditation und rituelle Tätigkeitensollen den Gläubigenhelfen, eingefahreneDenkbahnen zu verlassen und dasWesen der Welt zu ergründen

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IVB

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LINDie Harmonie

der SteineJapans Zen-Gärtensind Orte der Kontemplation

DIE MAGIE DES IKEBANA

Page 24: Buddhismus

1844Erste Veröffentlichung buddhisti-scher Texte in den USA

1893Buddhisten nehmen am Welt-parlament der Religionen in Chicago teil

1935Geburt von Tenzin Gyatso, demderzeitigen (14.) Dalai Lama

1950Chinesische Invasion Tibets.Der 14. Dalai Lama tritt vorzeitigals 15-Jähriger sein Amt an

1989 Nach dem Ende der Terror-herrschaft des Pol-Pot-Regimes wird der Buddhismus in Kambodscha wieder Staats-religion. Im selben Jahr erhältder Dalai Lama den Friedens-nobelpreis

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DIE SECHS

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